Rede zum Volkstrauertag 2018 - Mittendrin in Rönsahl

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Rede zum Volkstrauertag 2018

unser Dorf
Volkstrauertag 2018
Foto Stefan Schick
  
Volkstrauertrag 2018 -  Ansprache


 
Holger Scheel:
Volkstrauertag 2018. Heute stehen wir, wie jedes Jahr vor unserem Soldaten. Letztes Jahr habe ich ihn in den Mittelpunkt meiner Rede gerückt; seine Geschichte, sein Schicksal, seine Moosbewachsung – das vertiefen wir heute nicht erneut. Was aber steht heute im Fokus? Heute – nicht ganz auf den Tag genau -  ist es 100 Jahre her.
Die Novemberrevolution führte in die Endphase des Ersten Weltkrieges, zum Sturz der Monarchie im Deutschen Reich und zu dessen Umwandlung in eine parlamentarische Demokratie, die Weimarer Republik.
Seitdem gab es eine Zielvorstellung: Alle Deutschen sollten sich beim Volkstrauertag an das Leid des Krieges, die gefallenen Soldaten erinnern. Übergreifend, jeglicher Parteizugehörigkeit, Religion und sozialen Stellung.  
Wir erinnern uns an die Kriegstoten, an die Opfer der Gewaltherrschaft, und auch Gewaltbereitschaft.
Manuela Marcus:
Die Geschichte des Volkstrauertages ist so bewegend wie die zeitliche Distanz und den Geschehnissen, welche in der Zeitspanne erfolgt sind.
Aber trauert heute das gesamte Volk? Ich kannte persönlich keinen Gefallenen aus dem ersten und zweiten Weltkrieg. Dennoch soll ich heute trauern? Letztes Jahr stellte ich mir genau diese Frage, als ich mit der Fackel, wie heute mein Kamerad Patrick, vor dem Soldaten stand und dir, Holger, zuhörte.
Warum machen wir das hier? Für wen?
Die Wichtigkeit ist definitiv gegeben, aber die Wichtigkeit einen Mahntag daraus zu machen. 100 Jahre gedenken wir der  Gefallenen und dies sollten wir auch die nächsten 100 Jahre tun. Wir sind es genau den Menschen schuldig. Aber auch denen, die aktuell Krieg erleiden, die Opfer von Mobbing sind und Straftaten, die häusliche Gewalt verspüren oder sich aus purer Verzweiflung das Leben nehmen. Wir sollten an all die Gedenken, dessen Gewalteinwirkung wir nicht verhindern konnten und ein Zeichen setzen, gegen zukünftige Gewalt.
Zurück zum ersten Weltkrieg. Was hat das mit den einfachen Menschen gemacht?
Holger Scheel:
Der Erste Weltkrieg, in den die Mächte quasi hinein „schlafgewandelt“ sind, wie der Historiker Christopher Clarke es genannt hat, wird oft auch als die große Menschheitskatastrophe bezeichnet. Nie zuvor in der Geschichte war ein Krieg verheerender für die Zivilbevölkerung, nie zuvor ist ein Krieg mit derartiger technischer Präzision geführt worden, nie zuvor hat ein Krieg derartig viele Opfer gefordert.
Was diese Katastrophe des Ersten Weltkriegs für ganz normale Menschen bedeutete, hat der Historiker Herbert Ruland am Beispiel von Orten aus dem Vierlänereck Deutschland-Niederlande-Belgien-Neutral-Moresnet kürzlich in einem Buch geschildert. Diese alte Kulturlandschaft im Limburger Land gehörte über Jahrhunderte zusammen und mit ihr die Menschen. Auch wenn der Wiener Kongress ihr Territorium staatlich trennte, die Menschen fühlten sich nach wie vor zusammengehörig. Auch wenn man nun offiziell in Aachen Deutsch, in Vaals Niederländisch und im belgischen Bleyberg Französisch sprach, die Menschen vor Ort kommunizierten untereinander auf Limburger Platt, sie trieben Handel, heirateten, besuchten sich – und das alles ungeachtet nationaler Grenzen.
Nach den Schreckenserfahrungen des Ersten Weltkriegs, dem Niederbrennen ganzer Dörfer und Städte in Belgien, den Toten am Elektrozaun zwischen Bürgersteig und Straße an der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden, ist dieses Zusammengehörigkeitsgefühl jäh zerbrochen, ein Urvertrauen wurde zerstört. Heute, 100 Jahre später, sind wir im Europa der offenen Grenzen gerade in dieser Region ein ganzes Stück weiter. Und dennoch: So unbeschwert wie vor dem Ersten Weltkrieg ist der Umgang der Menschen in der Euregio seit dem nie wieder geworden. Der große Krieg – er hat etwas mit den Menschen gemacht. Mit denen, die ihn erlebt haben, und mit denen, die die Erlebnisse und Erzählungen vererbt bekommen haben.


 
Manuela Marcus:
Hast du etwas Zeit für mich
Dann singe ich ein Lied für dich
Von 99 Luftballons
Auf ihrem Weg zum Horizont
Denkst du vielleicht grad an mich
Dann singe ich ein Lied für dich
Von 99 Luftballons
Und, dass so was von so was kommt

 
Die letzte Phase des Kalten Krieges in den 80ern in Deutschland. Aufgrund des NATO-Doppelbeschlusses begann in Deutschland die Stationierung von atomaren Pershing II Raketen. Eine nukleare Aufrüstung, die eine Angst auslöste. Angst, dass ein Atomkrieg ausgelöst wird. Ein Widerstand der Bevölkerung führte zu der Friedensbewegung. „Was geschähe wohl, wenn sich Ballons über die Grenze nach Ost-Berlin treiben ließen und dort eine paranoide Reaktion auslösen würden“? Das war der Gedanke des Liedes.

 
Kalter Krieg? Ist dies auch ein aktuelles Thema?

 

 
Holger Scheel:
Seit wenigen Jahren wieder aktuell:  Russland annektiert die Krim, lässt seine U-Boote vor der schwedischen Küste auf und ab fahren, fürchten sich gerade kleine Länder wie Litauen, Lettland und Estland vor dem übermächtigen Nachbarn und bitten die NATO um Unterstützung.

 
Und heute aktuell: 10.000 Nato-Soldaten proben den Ernstfall. „Trident Juncture“ – ein Großmanöver. 50.000 Soldaten, 31 Nationen, 250 Flugzeuge, 65 Schiffe, 10.000 Fahrzeuge.

 
In Norwegen übt die Nato mit ihrem größten Manöver seit dem Kalten Krieg den Ernstfall. Soldaten proben hier unter schwierigen Bedingungen und die Armeen zeigen, was sie haben. Russland fühlt sich provoziert.

 
Ganz so weit hergeholt scheint mir die Geschichte nicht mit den Luftballons.

 
99 Luftballons
Auf ihrem Weg zum Horizont
Hielt man für UFOs aus dem All
Darum schickte ein General
'Ne Fliegerstaffel hinterher
Alarm zu geben, wenn's so wär
Dabei waren dort am Horizont
Nur 99 Luftballons

 
Manuela Marcus:
99 Düsenflieger
Jeder war ein großer Krieger
Hielten sich für Captain Kirk
Es gab ein großes Feuerwerk
Die Nachbarn haben nichts gerafft
Und fühlten sich gleich angemacht
Dabei schoss man am Horizont
Auf 99 Luftballons

 
Kriege entstehen meist durch Missverständnisse und durch falsche Absprachen, Äußerungen.  Das haben wir alles schonmal erlebt. Jeder von uns hat dies als Streit schonmal erlebt und sich hinterher oft gefragt „War es das wert? Hätten wir nicht einfach mal über alles Reden können?“

 
Die Schüler, die in der Schule gemobbt werden, weil sie eine Zahnlücke haben, der Pullover bereits drei Löcher hat oder weil sie zu dick sind, zu dünn, zu viel Interesse an der Schule zeigen oder ihre Eltern kein Geld haben um das neueste iPhone zu kaufen. Ist das gerecht? Muss das sein?

 
Die Rettungskräfte, die nur helfen wollen und bei dem Versuch körperlich angegangen werden. Ist das gerecht? Muss das sein?
Die Kriegsflüchtlinge, die weder das Sauerländer Würstchen noch die elegante Art „Guten Tag“ zu sagen kennen, werden in eine Schublade gesteckt. Ist das gerecht? Muss das sein?

 
Gewalt muss nicht sein. Gewalt ist nicht gerecht. In keinster Weise!

 
Holger Scheel:
99 Kriegsminister
Streichholz und Benzinkanister
Hielten sich für schlaue Leute
Witterten schon fette Beute
Riefen Krieg und wollten Macht
Mann, wer hätte das gedacht
Dass es einmal soweit kommt
Wegen 99 Luftballons

 

 
Macht ist das zentrale Thema. Gewalt hat immer auch mit Macht zu tun….

 
Manuela Marcus:
99 Jahre Krieg
Ließen keinen Platz für Sieger
Kriegsminister gibt's nicht mehr
Und auch keine Düsenflieger
Heute zieh' ich meine Runden
Seh' die Welt in Trümmern liegen
Hab 'n Luftballon gefunden
Denk' an dich und lass' ihn fliegen

 
Wir sind heute hier, mit 99 Luftballons. Nein, mit 100 Luftballons.

 
Gleich lassen wir sie fliegen. Dann, wenn wir gemeinsam das Lied singen, uns besinnen. Besinnen und Gedenken an die Opfer der Gewalt, jeglicher Art. Bei dem Part „Denk an dich und lass ihn fliegen“ lassen wir die 99 Luftballons in den Himmel gleiten. Schicken sie los und setzen ein Zeichen. Volkstrauertag, Mahntag. Wir trauern und mahnen.

 
Holger Scheel:
Den einen Ballon haben wir uns aufgespart. Er soll stehen für die Liebe und Hoffnung …


Unten Fotos von Rainer Crumennerl und Dieter Gohmann
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